Mädchen mit Cochlear Implant

von Monika Lehnhardt, Februar 2015

Im Dezember 2014 bekam ich dieses hübsche Selbstporträt „Mädchen mit Cochlear Implant“, das auf den ersten Blick an das Vorbild des berühmten „Mädchen mit dem Perlen-Ohrring“ von Johannes Vermeer erinnert. Der beiliegende Brief der im Dezember 2013 gegründeten „Associazione Italiana Liberi di Sentire“ (des italienischen Wohltätigkeitsvereins „Frei zu Hören“) erklärte den Hintergrund. Die Idee stammt von Dr. Sandro Burdo, dem wissenschaftlichen Beirat in dieser Vereinigung, der dieses in limitierter Auflage erschienene Bild einigen Personen als Geschenk zudachte, die sich im Kampf gegen Taubheit und deren Folgen einsetzen. Gleichzeitig rief er die Beschenkten auf, ein „Selfie“ für die Website der Vereinigung zur Verfügung zu stellen.

Ich habe meinen Mann Michael gebeten und hier ist das Resultat.

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Es freut mich sehr, dass ich zu den von Dr. Sandro Burdo Ausgewählten gehöre und ich werde gerne weiterhin meinen Beitrag dazu leisten, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die gravierenden Folgen von Taubheit zu sensibilisieren und darüber aufzuklären, dass Taubheit in unserer Zeit kein unabänderliches Schicksal mehr ist und dass mit Hilfe des Cochlear Implantates und einer nachfolgenden adäquaten (Re)Habilitation nicht nur Integration sondern auch eine vollwertige Inklusion möglich ist.

Die Entdeckungsreise von Shakira geht weiter…Die Entdeckungsreise von Shakira geht weiter…Shakira’s voyage of discovery continues

von Klaus Gollnick, Januar 2015

IMG_20141216_131002Im Januar wird Shakira (auf dem Foto links) 6 Jahre alt. Wenn man das neue Foto sieht, das sie mit ihrer Schwester Jasmine zeigt, kann man die wunderbare Entwicklung, die Shakira seit ihrer Versorgung mit einem Cochlear Implantat erfahren hat, nur erahnen. Aber es ist doch ein Beweis für die gewachsene Freundschaft zwischen den Schwestern, die sich erst seit Shakira hören kann, entwickeln konnte.

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Unsere GeschichteНаша историяUnsere Geschichte

von Nazgul Tolopopbergeneva, Mutter von Ajdina, Dezember 2014

IMG_0362Ajdina ist unsere erste Freude, auf die wir so lange gewartet haben. Als sie geboren wurde, waren wir sehr glücklich. Aber unser Glück hielt nicht lange an. Als Ajdina eineinhalb Jahre alt war, begannen wir uns Sorgen zu machen, warum unser Töchterchen nicht spricht. Nachdem wir mit den Ärzten gesprochen hatten, erfuhren wir, dass Ajdina schwerhörig ist. Die Diagnose lautete: beidseitige neurosensorische Schwerhörigkeit des 4.Grades.

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Eine große Geschichte der kleinen Ajdina

Ajdina Bekbulatova aus Bishkek (Kirgistan) bekam ihr Cochlea Implantat in St.Pölten, Österreich.

Ajdina BekbulatovaAjdina war schon fast zwei Jahre alt als Mama Nazgul und Papa Kanat verstehen mussten, dass ihr erstgeborenes und lang ersehntes Kind an Taubheit grenzend schwerhörig sei. Nazgul erwartete ihr zweites Kind und haderte mit Gott: „Warum hat er gerade uns einen so schweren Schicksalsschlag zugemutet?“. Die Freude über die baldige Geburt des Geschwisterchens wich der überwältigenden Angst, auch dieses Kind könnte taub geboren werden. 

Schwere Zeiten für die Eltern

Vater Kanat und Mama Nazgul nahmen in dieser schweren Situation alle ihre Kräfte zusammen und unternahmen alles nur erdenkliche, um sich Informationen zu verschaffen und Hilfe zu suchen. Sie begriffen schnell, dass es ein Wettlauf mit der Zeit werden würde. Die Hörbehinderung von Ajdina hatten sie selbst und somit relativ spät erkannt. Ein neonatales Hörscreening wird in ihrem Heimatland nicht durchgeführt, die Qualität der Diagnostik ist nicht auf dem neuesten Stand und eine Versorgung mit einem Cochlea Implantat ist noch an keiner einzigen Klinik in Kirgistan möglich.

Die Eltern teilten sich die Aufgabe. Während Nazgul alle Quellen – vorwiegend im Internet – anzapfte und sich erkundigte, wo und zu welchen Preisen Cochlea Implantate eingesetzt werden, bemühte sich Kanat die erforderlichen finanziellen Mittel aufzutreiben. Zahlreiche Appelle an staatliche Stellen blieben unerhört. Kleinere Beträge kamen durch Spenden von Arbeitskollegen und Freunden zusammen. Um sicher zu gehen, dass die in Bishkek gestellte Diagnose auch richtig sei, reiste die Familie nach Kasachstan und erhielt an einer Privatklinik die Bestätigung und zugleich auch eine Preisvorstellung in der Größenordnung von US Dollar 35.000. Wie sollten sie diese Summe in absehbarer Zeit aufbringen? Kanat beschloss, ein Video über die Geschichte seiner Tochter zu produzieren und darzustellen, wie isoliert und wie gefährdet die Kleine ist und bleiben wird, wenn sie nicht durch ein CI den Zugang zum Hören bekommen kann. Dieses Video stellte er ins Internet und die Resonanz war sehr erfreulich. Es kamen 20.000 Dollar im Verlauf von zwei Jahren zusammen, aber es reichte noch lange nicht und die Zeit lief davon.

Ein Hoffnungsstrahl

Anastasiia Flanagan aus Kiew – eine Mitarbeiterin der Prof. Ernst Lehnhardt-Stiftung – sah das Video und ergriff die Initiative. Sie kontaktierte die Familie und stellte den ersten Kontakt mit mir her. Wir sprachen dann regelmäßig per Skype und diskutierten mehrere Alternativen. Zusätzliche finanzielle Mittel mussten aufgebracht werden, damit auch die Langzeitversorgung von Ajdina sichergestellt werden konnte.

Klaus Gollnick– Mitglied im Vorstand der Lehnhardt-Stiftung - sprach mit der Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“ über eine Kostenbeteiligung und war erfolgreich! Lilit Abrahamyan aus Armenien – eine weitere Mitstreiterin in unserem kleinen Team der Stiftung – half von Yerevan aus der Familie bei der Beschaffung aller notwendigen Unterlagen.

Der Traum einer baldigen Versorgung von Ajdina wurde schlagartig wahr, als Prof. Dr. Georg Sprinzl spontan in einem Telefonat mit mir zusagte, die Operation an seinem Klinikum in St. Pölten kostenlos durchzuführen. Nun galt es so schnell wie möglich Visa zu besorgen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten zeigte sich die deutsche Botschaft kooperativ, zunächst wurden Visa für Ajdina und ihre Mutter ausgestellt, in einem zweiten „Anlauf“ dann auch für den Vater und die kleine Schwester Zhanyl.

20141011145705-400x711Lilit half bei der Beschaffung der Flugtickets und am Sonntag 28. September trat die ganze Familie ihre erste Reise ins Ausland an. Nach der Landung in Wien holte sie ein russisch-sprachiger Fahrer ab, um sie nach St. Pölten zu bringen. Dort hatte der Besitzer der Pension Elisabeth zugesagt, die Familie zu einem sehr günstigen Preis zu beherbergen. Sie wohnten in zwei Zimmern und konnten sich in einer kleinen Küche ihr eigenes Essen zubereiten. Die Tage vor der Operation waren dann für uns alle noch ziemlich aufregend. Eine Reihe von Untersuchungen mussten durchgeführt und die Eltern über alle Risiken der Operation aufgeklärt werden (etwas, woran Eltern aus russisch-sprachigen Ländern nicht gewöhnt sind). Dabei war dann überaus wichtig, für eine genaue Übersetzung zu sorgen, da wie zu erwarten an dem Klinikum in St. Pölten niemand Russisch spricht.

Der Weg in die Welt des Hörens ist frei

Am 1. Oktober – 9 Tage vor dem 5. Geburtstag von Ajdina – war es dann so weit. Prof. Sprinzl, assistiert von seiner bezaubernden und kompetenten Oberärztin Dr. Astrid Wolf-Magele, führte die Operation durch. Er tat dies mit einer beeindruckenden Sicherheit und nach weniger als einer Stunde konnten wir davon überzeugt sein: Ajdina hört!

Das zeigten die noch im Operationssaal durchgeführten Messungen. Die strahlenden Augen der Mutter, als Prof. Sprinzl ihr die Nachricht überbrachte, werden wir nicht vergessen.

Ajdina erholte sich binnen eines Tages und spielte schon wieder mit ihrer Schwester. Am übernächsten Tag durften sie bereits wieder in die Pension und blieben dort, bis zwei Wochen später die Erstanpassung des Sprachprozessors angesetzt wurde.IMG_0331-1024x666

Es traf sich gut, dass ich gerade von einer Reise nach Armenien wieder nach Wien zurückkam, und so ließ ich es mir nicht nehmen, bei der Erstanpassung dabei zu sein.

Wir haben uns so viel zu sagen

Ajdina ist die erste kleine CI Trägerin in ihrem Heimatland, die mit der neuesten Generation an Sprachprozessoren, dem Nucleus 6 der Firma Cochlear versorgt ist. Das Team in St.Pölten ist damit natürlich schon vertraut und hat das „Einschalten“ routiniert und geschickt gestaltet. Dennoch hatte es Ajdina zunächst einmal gar nicht gefallen. Sie fing laut zu weinen an und klammerte sich an ihre Mutter, die sie zu trösten versuchte.

IMG_0354-1024x682Das aber gelang Zhanyl. Sie schien die Situation zu verstehen. Wie sie ihrer älteren Schwester klar machte, dass sie keinen Grund zum Weinen sondern zur Freude hatte, war fast unglaublich. Mit ihrem kleinen Zeigefinger stupste sie Ajdina an „Du“, ihren Zeige- und Mittelfinger führte sie dann von ihren Augen über ihre Wangen „Weinen“, mit ihrer ganzen kleinen Hand winkte sie ab „Nicht“, griff sich an ihr Ohr „Hören“ und hielt ihren Daumen hoch „Cool“! Ajdina schaute erstaunt und hörte auf zu weinen. Die weitere Anpassung verlief dann ohne Probleme.

Nun verstand ich erst richtig, was mir die Mutter Nazgul erzählt hatte. Als sie mit Zhanyl schwanger ging und die Taubheit von Ajdina klar wurde, war sie fast unglücklich, ein zweites Kind zu erwarten. Schon bald aber war sie überglücklich, war Zhanyl doch die beste und einzige Freundin von Ajdina geworden.

Im fernen Land wie zu Hause

Das gesamte Team am Klinikum war außergewöhnlich hilfreich und freute sich über die Familie, die sie anfänglich für Chinesen hielten. Trotz der Sprachbarriere, vor der die Familie Bekbulatov vor Antritt der Reise die größte Angst hatte, fühlten sie sich angenommen und geborgen. Dass wir vor der Abreise in der Pension Elisabeth noch einen Landsmann von ihnen kennenlernen durften, der regelmäßig von Wien nach Kirgistan reist, war ein Glückstreffer.

Für die Nachsorge der kleinen Ajdina ist gesorgt und sie zeigt schon erste Fortschritte. Wir sprechen mindestens wöchentlich im Skype, sie artikuliert bereits ihre ersten Worte und die nächste Anpassung ist auch schon geplant.

Dr. Dr. h.c. Monika Lehnhardt-Goriany November 2014

30 Jahre Cochlear Implant in Hannover

Im August 1984 erfüllte sich Ernst Lehnhardt einen lang gehegten Wunsch „gehörlosen Menschen den Hörsinn (wieder)zugeben“ als er seine erste Patientin mit einem Cochlea Implantat versorgen konnte. Davon träumten vermutlich die meisten HNO Ärzte, doch es blieb über 2 Jahrtausende ein Wunder wie es nur in der Bibel bei Markus 7.31 beschrieben war.Lehnhardt_Hermann_Berghaus_Krenz_1985
Ernst Lehnhardt kannte natürlich alle die Versuche, die Pioniere lange vor ihm unternommen hatten.

 

Der Physiker Alessandro Volta (1800) mit seinem Voltaischen Ohrversuch, den er an seinem hörenden Ohr vornahm und der als Wurzel aller elektrischen und elektronischen Hörhilfen betrachtet werden kann.
Der deutsche Arzt Rudolf Brenner, der in St. Petersburg wirkte und 1868 sein Buch „Über die Wirkung akustischer Ströme auf das Hörorgan im gesunden und kranken Zustand“ veröffentlichte. Er hatte das elektrophone Hören gefunden, das aber nur so lange funktioniert wie die Hörfunktion nicht ganz erloschen ist.
Wever und Bray mit ihrer Publikation 1936, die die Entdeckung der Microphonics beschreibt. Djurno und Eyries, die 1957 ihren ersten Patienten implantierten, der die Hörempfung von „zischendem, kochenden Wasser“ hatte.
Sehr wichtig nahm er die 1963 publizierten Vorschläge von Zöllner (Otologe) und Keidel (Physiologe) zur Verwirklichung eines sprachvermittelnden Implantates. Er wusste, dass William House, den er für einen begnadeten Operateur hielt, in Zusammenarbeit mit dem kreativen Ingenieur Urban in Los Angeles in den 60iger und 70iger Jahren bereits eine breite klinische Anwendung praktizierten. Sie verwendeten ein einkanaliges System, die einzig funktio-nierende Version und begründeten dies auch mit dem bis dato akzeptieren „Respekt vor der Cochlea“. Die Zeit war offenbar „reif“ und in Europa arbeiten mehre parallel an dem Konzept CI: Chouard in Paris (1977), Fraysse in Toulouse (1979), Hruby und Tichy in Prag, Fraser in London, Dillier und Spillmann in Zürch (1984), Burian und Hochmairs in Wien (70er Jahre).
Ernst Lehnhardt hatte auch das ehrgeizige Ziel einer „Eigenentwicklung“ und arrangierte eine Zusammenarbeit seiner Klinik (MHH) mit der Technischen Hochschule Hannover, Prof. Musmann und dem Sprachwissenschaftler Prof. Meyer vom Max Planck-Institut in Göttingen. Musmann war gerade dabei, das Fernsehtelefon mit nur einer zusätzlichen Leitung zu realisieren. Davon erhoffte sich Ernst Lehnhardt Anregungen, das Ergebnis war aber mager. Wie schon Brenner vor hundert Jahren erzielte man den Effekt eines elektrophonen Hörens. Eine Enttäuschung. Seine Geduld (nicht gerade eine seiner herausragenden Eigenschaften, was vermutlich auf die meisten Operateure zutrifft) wuchs und er lud Hochmairs ein, das von ihnen entwickelte Gerät vorzustellen. Es arbeitete einkanalig. Davon war Ernst Lehnhardt unter dem Eindruck der Vision von Zöllner und Keidel nicht überzeugt.Lehnhardt_Battmer_1985
„Gerade noch rechtzeitig“ kam Dr. Mike Hirshorn Anfang 1984 aus dem fernen Australien nach Hannover und stellte („heimlich unter dem Tisch“) das von dem Physiologen und Otochirurgen Graeme Clark seit 1967 entwickelte 20 kanalige Gerät vor. Er hatte seinen ersten Patienten 1978 in Melbourne implantiert.
Begeistert saßen EL und sein Audiologe Rolf Battmer wenig später im Flugzeug nach Australien – auf eigene Kosten, wie er immer wieder betonte. Zwei Wochen verbrachten sie in Melbourne bei Graeme Clark und Jim Patrick, in Sydney bei David Money und seinem kleinen Team. Das Ergebnis war die am Anfang erwähnte erste Implantation im August desselben Jahres.
Diese Entscheidung sollte die weiteren 27 Jahre seines Lebens gravierend beeinflussen.
Die Frage einer anhaltenden Finanzierung war vordringlich. Zunächst gelang es ihm mit einem kleinen Trick, seine nächsten drei Patienten zu versorgen. Er fragte einen Mitarbeiter in der Verwaltung, wie hoch die Kosten für eine Herztransplantation seien und erntete Verwunderung. Er wollte doch wohl nicht Herzen transplantieren. Es gelang ihm glaubhaft zu machen, das für seine „Herzensangelegenheit“ kein Mensch sterben muss und tauben Menschen zum Hören verholfen wird. Dreimal DM 35.000 wurden von dem unbürokratischen Verwaltungsbeamten spontan genehmigt. Er konnte dann über viele Jahre die positive Entwicklung des Programms beobachten.
Widerstand gegen die Implantation von Erwachsenen gab es kaum, auch die Entscheidung im Jahre 1987 einem kleinen Patienten, der infolge von Meningitis ertaubt war ein Implantat zu geben, wurde akzeptiert. Verstanden doch die meisten, dass in diesem Fall rasches Handeln angesagt war, um einer Verknöcherung der Schnecke zuvorzukommen. Tobias (damals 4 Jahre und 9 Monate alt) hatte seine Sprache auch schon teilweise verloren und wir freuten uns alle zu sehen / hören, wie er sie wenige Wochen nach der Operation bereits wiedergewann.
Ganz anders sah es aus, als er ernsthaft erwog, ein taub geborenes Kleinkind zu operieren. Er wusste um die Skepsis der Physiologen die warnten und drohten, es würde niemals gelingen, mit einem CI den Funktionsausfall des Innenohres zu kompensieren.
1988 bestürmte ihn die Mutter der 17 Monate alten Rawya aus Dubai – sie sei sicher, ihr Mädchen sei vollkommen taub. Sie wollte auch nichts von einer Implantation außerhalb der Schnecke mit dem speziell für solche „Fälle“ entwickelten „Combi-Implantat“ wissen. Das Klinikteam war dagegen. Vermutlich hat die Argumentation der Sprachtherapeutin – es kann nicht implantiert werden, da wir doch keine so kleinen Tische und Stühlchen haben – den Ausschlag gegeben. EL drückte ihr Deutsche Mark in die Hand und bat sie, erforderliche Möbel und Spielzeug zu besorgen. Rawya spricht heute drei Sprachen fließend, spielt Klavier und absolvierte erfolgreich ein Studium an der Universität.
An einem Kongress in Montreux ein Jahr später fiel noch der Ausspruch eines anerkannten Physiologen, es sei ein Verbrechen, taub geborene Kinder mit einem CI zu versorgen. Alle die skeptischen Physiologen waren von falschen Voraussetzungen ausgegangen, nämlich der Übertragung von Beobachtungen am Auge auf das Ohr. Sie nahmen an, dass der Hörnerv und die Hörbahn beim taub geborenen Kind schon sehr bald nicht mehr zu aktivieren seien. So wie das für das Sehen zutrifft, wenn das Auge keinen Lichtreizen ausgesetzt ist. Die klinische Erfahrung und die überzeugenden Resultate haben alle diese theoretischen Überlegungen und Hypothesen widerlegt.
Weitblick bewies EL in seiner Erkenntnis, dass Cochlear Implant ein multi-disziplinäres Unterfangen darstellt. Vor allem die Bedeutung der post-operativen Betreuung, der technischen Nachsorge und der (Re)Habilitation wa r ihm voll bewusst. Er sorgte dafür, dass eine renommierte Firma die technische Nachsorge übernahm und er bereiste gemeinsam mit dem überaus engagierten Gehörlosenlehrer Bodo Bertram – „Wanderpredigern gleich“, ganz Deutschland. Galt es doch Enttäuschungen zu überwinden, da in früheren Jahren Implantate anderer Herkunft mit unzureichender Qualität ungeeigneten Kandidaten, z.B. gehörlos geborenen Teenagern eingepflanzt wurden.
Nur langsam wich die Skepsis / Reserviertheit – vor allem der Pädagogen – einer passiven Zustimmung und letztlich einem aktiven Engagement.
EL gründete das erste Cochlear Implant Centre – ein Rehabilitationszentrum für Kinder mit CI – „Wilhelm Hirte“ in Hannover, das als Vorbild für viele weitere derartige Zentren in Deutschland diente. Einmal mehr bewies er seine Geschicklichkeit in der Beschaffung finanzieller Mittel; nicht nur für den Bau der Häuser durch großzügige Spenden privater Personen und Firmen. Es gelang ihm auch, die Krankenkassen davon zu überzeugen, dass sie für die Rehabilitation der Kinder in Begleitung ihrer Mütter (manchmal, eher selten auch der Väter) für insgesamt 12 Wochen bezahlen.
Vielleicht kann man es Einfühlsamkeit nennen, wenn man an seinen Appell an seine Kollegen – Operateure denkt, ihrem ärztlichen Grundsatz gemäß „nihil nocere“ nun den Respekt vor der Cochlea nicht ganz zu verlieren. Er wies auf die Wichtigkeit des Erhalts der delikaten Strukturen des Innenohres hin – schon zu einem Zeitpunkt, da fast nur „vollkommen“ taube Kinder implantiert wurden. Das sollte mit der Erweiterung der Indikation auf sogenannte „resthörige“ Kandidaten zunehmend wichtiger werden. Die von ihm beschriebene „Soft Surgery“ (1993) ist heute von größerer Bedeutung als vor 20 Jahren.
Eine weitere Entwicklung – die Kombination von akustischer Verstärkung im Tieftonbereich und elektrischer Stimulation in den hohen Frequenzen – hat EL ebenfalls vorausgesehen. Anschaulich beschrieb er dies unter anderem in seinem Vortrag anlässlich der Verleihung einer seiner Ehrendoktorwürden am 14.12. 2000 in Posen. Er spricht von einem bimodal arbeitenden Gerät und betont, dass für dessen Einsatz die Soft Surgery eine „Conditio sine qua non“ sei. Damals konnte er vielleicht noch nicht ahnen, wie schnell sich das Konzept der bimodalen Versorgung durchsetzen sollte. Lange wurde auch von angesehenen Fachleuten behauptet, dass es Trägern von einem CI auf einem Ohr und einem Hörgerät auf einem anderen Ohr nicht möglich sein wird, diese beiden „Inputs“ im Gehirn zu verarbeiten. Wieder einmal sollten diese Hypothesen in der Praxis widerlegt werden. Wir kennen zahllose erfolgreich bimodal versorgte CI / HG Träger.

Die Entwicklung des Kombinationsgerätes, das auf einer Seite getragen werden kann, ist ein weiterer, signifikanter Fortschritt.

In seinem Festvortrag am 1. November 2002, anlässlich der Verleihung der zweiten Ehrendoktor-würde definierte EL den Unterschied zwischen Arzt und Ingenieur recht zutreffend:
„Dem Ingenieur ist vieles oder gar alles möglich, aber nur irgendwann, kaum jemals sofort. In der praktischen Anwendung bleibt vieles dem Arzt unmöglich, was er aber tun kann,  das kann und muss er eventuell sofort verwirklichen“.

EL schätze die Ingenieure sehr, er arbeitete eng mit ihnen nicht nur in Deutschland sondern auch in Australien über viele, viele Jahre zusammen.

Seine Überzeugung, dass mit der CI Versorgung Kindern der Weg in die hörende Welt gebahnt werden kann, trug er in die Welt und wurde dabei von seiner Frau Monika – die beruflich auch intensiv mit dem Thema CI befasst war und noch immer ist, die mit ihm die Prof. Ernst Lehnhardt-Stiftung im Jahre seiner Emeritierung 1993 gründete, begleitet. Die Reisen führten in eine Reihe westeuropäischer  aber auch in viele Zentral- und osteuropäische Länder, von der Tschechei und Slowakei, über Polen, Litauen, Lettland und Estland bis Russland, wo EL oft die ersten CI Operationen durchführte. Dabei entstanden Freundschaften, die über seinen Tod hinaus halten.

In seinem Festvortrag in Posen Im Jahre 2000 zitierte EL, der großen Wert auf die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Arzt“ und „Mediziner“ legte,  Gottfried Wilhelm Leibniz: „Zum wahrhaft ärztlichen Handeln bedarf es auch der Fähigkeit eines theoriegeleiteten Erkennens und Entscheidens im Sinne des jeweiligen Patienten“.

Die Entwicklung des Cochlear Implants schreitet weiter zügig voran. Die Vision von Jay Rubenstein (2004) hat noch 10 Jahre Zeit sich zu bewahrheiten:
„In 20 years an implant will be the treatment of choice for anyone with a Hearing Loss greater than 50dB“.

Dr. Dr. h.c. Monika Lehnhardt                                         August 2014

Die Ernst Lehnhardt Stiftung unterstützt weiterhin CI Patienten in der Ukraine

In Zusammenarbeit mit deutschen Reha-Zentren und Kliniken, gelang es der  Ernst Lehnhardt Stiftung erneut, einem tauben Patienten zu helfen. Die im Krisengebiet östliche Urkraine lebende Familie  Dikov  brauchte dringend Ersatz für den Esprit 3G Processor. Dr. Monika Lehnhardt konnte ein neueres Modell – Freedom – von einer deutschen Familie an Viktor  übergeben.

Nachfolgend lesen Sie den Brief der Familie Dikov (ins Deutsche übersetzt), mit dem diese Ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen wollen.

 

dikov-300x225Sehr geehrte Frau Lehnhardt,

wir möchten uns herzlichst bei Ihnen für das Geschenk bedanken, von dem wir nur träumen konnten.
Nach einer Krankheit verlor unser Sohn Viktor mit 2 Jahren das Gehör. Seit er 3 Jahre alt wurde, fingen wir an, ihn nach Kiev zur Untersuchung und Therapiestunden zu bringen. Dank unseren konsequenten Bemühungen und dem Durchhaltevermögen durchschritten wir diesen langen und schweren Weg von den ersten unverständlichen Lauten bis zur sinnerfüllten Rede. Wir wechselten einige Generationen der Hörgeräte und erreichten letztendlich das von uns gewünschte Ziel.
Jetzt ist unser Sohn 19 Jahre alt. Er ist Student und lernt zu gleichen Bedingungen wie normalhörende Kinder. Er entwickelt sich vollständig als Persönlichkeit, kommuniziert mit seinen Altersgenossen, seine gesprochene Rede ist gut entwickelt.
Im Februar 2010 wurde Viktor mit dem Cochlear Implant Nucleus 24 im Institut für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (Kiev) versorgt. Zur Zeit benutzt er den Sprachprozessor Esprit 3G.
Leider konnten wir uns einen moderneren Sprachprozessor nicht leisten.
Aber dank Ihnen bekommt unser Sohn jetzt mit dem neuen Sprachprozessor Freedom verbesserte Möglichkeiten zur Wahrnehmung und weiteren allseitigen Entwicklung.
Vielen Dank, liebe Frau Lehnhardt, für Ihre Sorge um ein Ihnen unbekanntes Kind aus der fernen Ukraine. Wir wünschen Ihnen Gesundheit für lange Jahre, Frieden und Wohl Ihnen und Ihrem Zuhause! Gott behüte Sie und schütze vor Ärger und Unglück! Gott belohne Sie für Ihre Warmherzigkeit und Fürsorge!

С уважением, семья Диковых.

PORA! – Wissens- und Erfahrungsaustausch im Internet

grenzenlos – ohne sprachliche Barrieren!

Die immer schnellere Entwicklung neuer und besserer Hörhilfen (Hörgeräte, Mittelohrimplantate, Knochenleitungsgeräte und Cochlear Implantate) erlaubt die aussichtsreiche Versorgung einer stetig ansteigenden Zahl von Kindern und Erwachsenen. Sie erfordert aber auch, dass die für eine professionelle Auswahl und Anpassung der Geräte, sowie die nachfolgende (Re)Habilitation Verantwortlichen auf dem neuesten Stand der Technik und Methodik sind. Die Anforderungen an die Fachleute steigen aber auch mit den immer häufiger werdenden selbstbewussten und „aufgeklärten“ Kandidaten und Eltern. Sie holen sich Informationen aus dem Internet, stellen kritische Fragen und wollen an dem Entscheidungsprozess aktiv beteiligt sein.

Für viele Ärzte, Audiologen und Therapeuten verschiedenster Disziplinen ist es schwierig, sich konstant auf dem letzten Stand der Entwicklungen zu halten. Dies gilt weltweit, besonders aber für einige Länder Osteuropas und für russischsprachige Länder der ehemaligen Sowjetunion.

Bereits im Jahre 2009 ergriff die Professor Ernst Lehnhardt-Stiftung mit der Einführung von PORA! („es ist an der Zeit“!) die Initiative. Seither treffen sich Experten und Eltern regelmäßig, ca. 20 Mal im Jahr, Online, in einem Raum im Internet.

Unter dem Motto „Meet the Global Expert“ kommen ausgezeichnete Vortragende aus Australien, USA, Canada, United Kingdom, Deutschland, Belgien, Polen, Russland und der Ukraine und präsentieren zu Themen aus der Medizin, Technik und Re(Habilitation). Diese treffen wir dann jeweils zwei Wochen später zu einer „Forum Diskussion“.

Die Teilnehmer – Fachleute sowie Eltern – kommen aus Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Usbekistan, Russland, Weißrussland, der Ukraine und aus einigen westlichen Ländern.

Sie können kostenlos interessante Vorträge hören, Fragen und Kommentare mündlich während des Treffens stellen oder in den Text Chat schreiben. Sie können auch asynchron, zu einem späteren Zeitpunkt, in das Weblog schreiben und eine kompetente Antwort erwarten. Sie können sich mit anderen Teilnehmern austauschen und dies ebenfalls asynchron im Weblog oder auch im LiveOnline Raum fortsetzen. Die Aufzeichnung der Präsentationen ermöglicht es allen Interessierten diese auch asynchron zu sehen und zu hören. Mit kompetenten Dolmetschern haben wir bisher englisch, deutsch und russisch miteinander gesprochen. In Zukunft soll dies auf weitere Sprachen – je nach Bedarf – ausgeweitet werden.

Über PORA haben Sie auch Zugang zu den Lehrmodulen des HICEN Projekts (Hearing Impaired Children – Elementary needs in pre-school care and education) www.hicen.eu

HICEN ist eine Initiative der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und der Lehnhardt Akademie aus dem Jahre 2006. Das HICEN Material besteht aus 9 Modulen von international anerkannten Autoren und ist in Englisch, Deutsch, Spanisch, Portugiesisch und – Dank PORA! – auch in Russisch Online verfügbar

Modul 1 – Neugeborenen Hörscreening (NHS)
– Peter Böttcher und Barbara Bogner
Modul 2 – Ermittlung eines Hörverlustes und die Hörumgebung
– Barbara Bogner
Modul 3 – Frühe Versorgung mit Hörhilfen
– Andrea Bohnert
Modul 4 – Familie und psycho-pädagogische Unterstützung
– Guido Lichtert
Modul 5 – Unterstützung von Sprachentwicklung in Gruppen
– Gisela Batliner
Modul 6 – Hörgeschädigte Kinder mit Mehrfachbehinderungen
– Gottfried Diller
Modul 7 – Zweisprachigkeit bei hörgeschädigten Kindern
– Gottfried Diller
Modul 8 – Meilensteine in der Entwicklung
– Eulalia Juan-Pastor
Modul 9 – Effektive Inklusion
– Andrew Broughton

Neugierig geworden? Einfach diesen Link anklicken: www.lehnhardt-akademie.net/weblog/ und am nächsten Seminar teilnehmen.

Dr. Dr. h.c. Monika Lehnhardt