«Bausteine» für Vladimirs eigenständige Rede

Ich betrete die Gruppe und sehe: an der Tür steht ein fremdes Kind und hält seine Eltern an den Händen. Es hat ein Hörimplantat, und ich verstehe, dass dies mein neuer Schützling ist. Interessiert und schüchtern lächelnd sieht Vladimir mich an und geht in die Gruppe, wo hörende Kinder spielen. So begann der erste Tag im allgemeinen Kindergarten für einen Jungen, der sich von Geburt an von seinen Altersgenossen unterscheidet.

Seit über 40 Jahren bietet unsere Bildungseinrichtung Kindern mit Hörstörungen Förderung an. Die Sonderpädagogen der Vorschul- und Schulabteilungen arbeiten nach der Methode von Dr. paed. E.I. Leongard. Täglich verbringt Vladimir 2-3 Stunden unter hörenden Gleichaltrigen. Jeden Tag hat dieses Kind die Möglichkeit, Förderung zu erhalten. Nach einiger Zeit, als ich Vladimir beobachtete, bemerkte ich, dass ich aufhörte, auf all seine Entwicklungsbeschränkungen zu achten, wenn er unter den Kindern war. Er malt, spielt, rennt im Sportunterricht, bewegt sich zur Musik – nur in der Stille zieht das pfeifende Geräusch des Beatmungsschlauchs Aufmerksamkeit auf sich. Wenn er mit den anderen Kindern zusammen ist, vergisst man sogar, dass Wowa nicht so hören kann wie gesunde Gleichaltrige.

Die Ärzte der AMEOS-Klinik in Deutschland haben mit Unterstützung der deutschen Lehnhardt Stiftung, der Organisation “Herz für Kinder” und der Moskauer Stiftung “Pomogi.org” diesem Kind die fehlende Hörfunktion geschenkt, die zur physiologischen Basis für Hören und Verstehen wurde und dem Jungen die Möglichkeit gab, zu hören. Im August 2020 wurde Wowa operiert: Cochlea-Implantation auf der rechten Seite. Nach einer solchen Operation hört der Mensch einen akustischen Reiz, aber das Hören und Verstehen von Sprache kann er nicht selbstständig lernen. Dies ist ein langer und schwieriger Weg, der speziell gelehrt werden muss.

Zum Zeitpunkt des Kindergarteneintritts hatte Vladimir bereits eine Reaktion auf Geräusche entwickelt – er hatte gelernt zu verstehen, dass es Geräusche gibt. Und das ist schon viel. Dies ist eine Errungenschaft, wenn man bedenkt, dass Wowa vor der Operation überhaupt nicht auf akustische Reize reagierte und man versuchte, ihm die ersten Gebärden beizubringen. Im Kindergarten begannen tägliche Sitzungen zur Ausbildung des bewussten Hörens. In der Anfangsphase hörte Vladimir nur babbelnde Wortformen und ordnete das Gehörte einem Spielzeug zu. Ohne Gesten, ohne Fingeralphabet – die Kommunikation erfolgte nur in gesprochener Form. Es ist besonders zu betonen, dass die Sprache des Lehrers, die an ein Kind mit einem solchen Entwicklungsstand gerichtet ist, aus einfachen Wörtern bestehen muss, die in der jeweiligen Situation verständlich sind: hier, dort, später, gehen wir, ja, nein, gib, gut… Auf keinen Fall sollte das Kind mit einem Schwall unadaptierter Erwachsenensprache überflutet werden. Ein Kind, das gerade „angeschaltet“ wurde, versteht nichts von solchen ausführlichen Aussagen des Lehrers. Ohne Verständnis des Gehörten kann das Kind keine Bereitschaft zur Reproduktion des vorgeschlagenen Wortschatzes entwickeln. Dies ist ein sehr wichtiger Moment in der Entwicklung des Sprachhörens und des Sprachgedächtnisses eines nicht hörenden Kindes. Ein Mensch ist bereit, aktiv die Worte zu benutzen, deren Bedeutung er versteht. Heute versteht Vladimir bereits einige vollständige Wörter: Mama, gib, Papa, Fisch, Tante, gefallen, Hund, schläft… – und versucht manchmal, sie auszusprechen. Er vokalisiert immer aktiver und kann die Struktur eines bekannten zweisilbigen Wortes wiederholen. Das Sprachverständnis eines Kindes mit Hörstörung entwickelt sich nicht spontan innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Wort für Wort werden in Verständnis-Situationen im aktiven sprachlichen Format gesammelt, gespeichert und zu einem Satz verbunden. Aber für Vladimir ist das noch eine ferne Zukunft. Seine Aussprachefähigkeiten müssen durch Massage und Übungen entwickelt werden. Aber das Wichtigste: Vladimir darf keine Angst haben, zu sprechen; er muss den Wunsch haben, wie alle Menschen um ihn herum zu klingen. Erwachsene freuen sich über jedes selbstständige Gebrabbel, jede Silhouette eines Wortes. Der Weg ist geebnet – durch das Verständnis fremder Sprache hin zum aktiven eigenständigen Sprechen. Der Anfang ist gemacht! Ein langer Weg liegt vor uns!

Die physiologische Möglichkeit zu hören, die sprachliche Umgebung, die eigene kognitive Aktivität des Kindes, eine liebevolle und unterstützende Familie sowie die tägliche Förderung – das sind die „Bausteine“, die als Grundlage für die Entwicklung der eigenständigen Sprache des Kindes dienen werden. Vorwärts, Vladimir, vorwärts!

Pekschewa A.N. – Sonderpädagogin, Schule Nr. 224, Moskau
https://sch224s.mskobr.ru/teacher-card/40

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